Erschienen am Montag, 30. März 2015
Anlass: Jazztage: Nachbericht Freitag und Samstag
Gelungener Auftakt zu den Jazztagen der IG Kultur im Pavillon in Sindelfingen: Alexandra Lehmler Quintett am Freitag, Mingus 21 am Samstag
Drei Tage Jazz am Stück; das gab es bei der IG Kultur noch nie. Zum 35-jährigen Bestehen wollten sich die Sindelfinger Kulturmacher aber nicht lumpen lassen und stellten ein hochattraktives Programm auf die Beine.
VON BERND EPPLE
SINDELFINGEN. Dass man nicht weit in die Ferne blicken muss, um gute Jazzer zu sichten, zeigten schon die beiden ersten Abende am Freitag und Samstag. Gleich zwei Jazzpreisträger des Landes Baden-Württemberg standen da auf der Bühne: die Saxofonistin Alexandra Lehmler (Jazzpreis 2014) bestritt mit ihrem Quintett den Freitagabend und Saxofonist Magnus Mehl (Jazzpreis 2015) war am Samstagabend mit Mingus 21 zu hören. Mit jeweils rund fünfzig Besuchern waren beide Veranstaltungen dennoch nicht ausverkauft. Trotzdem war Mitveranstalter Ingo Liedtke nicht unzufrieden: "Uns ist die Vielseitigkeit unserer Konzertangebote wichtig und die Stimmung der beiden Abende zeigt, dass wir mit dem Gebotenen richtig lagen." Mit Blick auf das Babybäuchlein von Alexandra Lehmler ergänzt er schmunzelnd: "Und es geht weiter".
"Jazz is not dead. It just smells funny!" gab einst Frank Zappa zum Besten. Also kamen Besucher, die mit Mainstream eher weniger am Hut haben, dafür aber alle Sinne für die Feinheiten dieser Musik öffnen wollten. Und sie wurden gut bedient!
Die Jazztage eröffnete das Alexandra Lehmler Quintett sehr energiegeladen. Das Intro der ersten Nummer, zunächst von offenen Harmonien geprägt, über die Lehmler lyrische Saxofon-Phrasen legten, erzeugte Spannung. Und schließlich kam der Übergang in einen hochinteressanten Groove. Das Klavierspiel von Oliver Maas hatte die Kraft und Dynamik eines Mc Coy Tyner und bei Lehmlers Solo wurden Erinnerungen an John Coltranes Interpretation von "My Favourite Things" wach. Der kolumbianische Perkussionist Rodrigo Villalon würzte mit seiner arabischen Darabuka und seinem Latin-Percussionset, vornehmlich aus Congas und Bongos bestehend, das wohlschmeckende Jazzmenü dieses Abends. Lehmler demonstrierte eindrücklich auf Sopran-, Alt- und Baritonsaxofon, warum der Jazzpreis 2014 an sie ging. Da gab es butterweiche Altsaxofon-Sounds, schreiend klagende Baritonklänge und singende Sopransaxofonklänge zu hören. Lehmler schien geradezu mit ihren Instrumenten verwachsen zu sein. Die Kompositionen wiesen stets einen musikalischen Bezug zu den Titeln auf. Überdeutlich zu hören bei "Unterirdisch", die musikalische Be- und Verarbeitung eines "Stuttgarter Großbauprojektes", bei dem ein verzerrtes E-Piano zum Einsatz kommt, das manchmal verzweifelt aufschreit oder alles zerpflückt. Bei "Tränenmeer" geht es ums Abschied nehmen. Mit melancholisch intoniertem Altsaxofon und gestrichenem Kontrabass wurde der ganze Schmerz herausgespielt. Neben dem Saxofon spielte der Bass eine zentrale Rolle. Sehr präzise, einfühlsam und mit unglaublichem Soundspektrum wurde er von Matthias Debus eingesetzt. Mal diente er als Perkussionsinstrument, mal waren die Basslinien Grundlage für parallel, in verschiedenen Intervallabständen mitgesungene Soli seines Spielers. Die gesamte Formation wirkte äußerst kompakt und präsent.
Auch die 22- jährige Clarissa Glück aus Sindelfingen, die zum ersten Mal ein Jazzkonzert besuchte, war von der "Lebendigkeit" dieser Musik angetan und stellte fest, dass die Musiker zu hundert Prozent bei dem sind, was sie tun. Dazu bedarf es keiner Notenblätter, wenn eine Band seit Jahren so intensiv zusammenarbeitet, wie dieses Quintett.
Scharfe Bläser und irrwitzige Soli
Ganz ohne Noten kam Mingus 21 am darauffolgenden Abend nicht aus. Diese Formation entstand vor vier Jahren, als zu den Stuttgarter Jazztagen noch etwas Besonderes gesucht wurde. Bassklarinettist und Tenorsaxofonist Martin Keller heuerte kurzentschlossen die Creme der Stuttgarter Jazzszene an. Man beschloss, dem 1979 verstorbenen großen Bassisten und Komponisten Charles Mingus mit "Tribute to Charles Mingus" neues Leben einzuhauchen. Alle Musiker sind in vielen Projekten tätig und kommen deshalb nur ein paar Mal im Jahr zusammen. Soviel zu den Notenblättern; allerdings dienten diese eher als Spickzettel. Ansonsten wurde schnell deutlich: Die wollen nur spielen! Und das taten sie von der ersten Sekunde an. Wie ein roter Faden durch den Abend zogen sich scharfe Bläsersätze, überraschende Rhythmuswechsel und irrwitzige Soli der vier Männer im Vordergrund. Diese waren: Posaunist Django Hödl, Leiter der hier bestens bekannten STB Bigband, Trompeter HP Ockert, Jazzpreisträger Magnus Mehl am Altsaxofon und eben Martin Keller, der charismatische Tenorsaxofonist. Der Sindelfinger Drummer Lutz Groß gab mit seinen hochkarätigen rhythmischen Figuren den Takt an, Martin Trostel sorgte am Klavier für die harmonischen Verbindungen und Caroline Höfler zeigte besonders bei "Good Bye Pork Pie Hat", warum sie zu den gefragtesten Bassistinnen in Deutschland zählt. Sie spielte diese Komposition a capella voller Hingabe und man hätte dabei eine Stecknadel fallen hören können. Greift er bei der STB Bigband doch eher selten zur Posaune, zeigte Hödl, welch brillanter Posaunist er eigentlich ist. Und auch Keller verharrte mit seinen Instrumenten keineswegs im Keller; obgleich er die tiefen Töne seiner Bassklarinette genussvoll zelebrierte, schwang er sich mit großen Intervallsprüngen zu waghalsigen High Notes auf und hob dabei fast vom Boden ab.
Wie schon am Vorabend tobte das Publikum und wollte die Musiker nicht mehr von der Bühne lassen. Ein gelungener Auftakt für das Highlight und Abschlusskonzert am gestrigen Sonntag mit Wolfgang und Florian Dauner im SMTT-Odeon. Der legendäre Stuttgarter Jazzpianist und sein Schlagzeug spielender Sohn stellten ihr Album Dauner//Dauner vor - quasi eine Gourmet-Kirsche auf die Geburtstagstorte der IG Kultur (ausführlicher Bericht in der Dienstagausgabe).